Es bedeutet schon viel, weiterzumachen, dessen sind sich die meisten nicht bewußt. Ich könnte alles fahren lassen, die Hände lösen und sie an einem Seil entlang gleiten lassen, oder mir etwas anderes, sanfteres, leichteres suchen.
— Danielle Collobert
1
Du bist ganz allein in der Katastrophe in einem winzigen Lichtstrahl gefangen
2
Ein Raum weiß, lang, gezogen, die Kurve eines Schädels
3
Michael P. erzählt von konspiratven Gewerkschaftstreffen, die er einzig aufsucht, um Danielle Collobert wiedersehen zu können
4
Dire II spult eine Handlungsfolge ohne grammatikalisches Subjekt ab in dessen Verlauf das Weiß der Seite mehr und mehr Platz beansprucht
5
Wechselnde Algorithmen implodierender Welten.
Colloberts Texte, die eine kreisförmige Falle darstellen, bei der das Auffinden einer Wahrheit mit deren Auslöschung zusammenfällt
6
Die Aufzeichnungen zu einer Reise 1970 nach Indonesien, in Begleitung eines norwegischen Ehepaars, werden nur durch Zufall entdeckt
7
Jemand beobachtet dich. Du vergißt, was hinter deinem Rücken geschieht
8
Sich durch die Strassen treiben lassen als sei dein gesamtes Leben vom Zufall bestimmt. Inmitten eines instabilen Universums
9
Das Spiegelbild spiegelt nicht nur das was du siehst
10
Sie wird an der École Normale angenommen, arbeitet stattdessen aber in der Galerie Hautefeuille, wo sie die Freiheit hat, so zu leben und zu schreiben, wie sie es will. Sie stellt Totem und mehrere Texte fertig, die später Eingang in Meurtre finden
11
Meurte ist ein Buch unterschiedlichster Bewußtseinszustände vom Krieg durchzogen
12
Taumelnd durch das schwindende Gedächtnis fallende Silben einer anderen Sprache. Eine Welt, die ebenso gut als Text lesbar wäre
13
Das Blut, das aufsteigt und den Körper für einen Moment wieder zusammensetzt
14
Eine Ratte läuft die ganze Nacht durchs Zimmer. Du hängst die Klamotten hoch an einen Nagel in der Wand
15
Körper und Worte sind eins geworden in der Unmittelbarkeit der Sprache in Dire (das in einer früheren Fassung noch Parler seul heißt). Die Sätze sind nichts anderes als ein Aushöhlung oder Erweiterung des Sinns der Sprache wechselnder Identitäten
16
Was ist die Sprache, wenn sie in ihrem Entstehungsprozess aufs Engste mit dem Körper verbunden ist. Der Körper als eine unbestimmte, flüchtige Entität
17
Kreisläufe von Verbindungen unterschiedlicher Intensitäten, Formen. Der utopische Rest, dem man nachspürt
18
Wie sich glaubhaft distanzieren, wenn man nicht seine Sprache ändert
19
In ihrer Jugend ging ihr der Körper des Mannes, den man an einem Baum erhängt hatte und den die Deutschen dort mehrere Tage zur Abschreckung hängen liessen, nicht mehr aus dem Kopf
20
Eine verrückte und starke Gewalt, die sich sammelt und zerbricht
21
Sie zündet ein Feuer zwischen ihren Beinen an
22
Mit der Zeit weicht die Hoffnung sich selbst zu entkommen der Erschöpfung
23
Zwei Jahre vor ihrem Tod verkauft sie ihre Wohnung um ihre Reisen (oder Fluchten) zu finanzieren. Bis auf eine Tasche, ein paar Kleider und ein altes Exemplar von Têtes mortes behält sie nichts
24
Zusammen mit ihren Kollegen der Zeitschrift Change, wie Mitsou Ronat, Jean-Claude Montel oder Jacques Roubaud, forciert sie einen STOFFWECHSEL, eine Veränderung im Gewebe, den Formen der Sprache der poetischen Funktion
25
Übergänge vom Ich zum Du bei denen nicht klar ist, ob jenes Ich männlich oder weiblich ist und zwar auf eine sehr subtile Weise, eine Unentschiedenheit, wo es die Sprache nach einer Festlegung drängt
26
Im Winter 1969 besucht sie wiederholt die Giacometti Retrospektive in der Orangerie des Tuileries. Sie ist fasziniert von den winzigen Figuren, die Ausrichtung auf das Zerbrechlichste. Arbeit des Federmessers, den Augenblick zu bannen bevor alles zu Staub zerfällt. Jupiter, der den Blitz in seinen Händen hält
27
Man wird von der Sprache durchdrungen. Man ist die Sprache
28
Als würden die Worte Colloberts nicht vor uns liegen, sondern hinter uns. Als würden wir immer nur einen Schritt zurück tun, um zu begreifen, und nicht den Sprung nach vorn wagen
29
Man wird das Gefühl nicht los, sich in einer Echokammer zu befinden. Dem Fliessen des Körpers zu folgen. Il donc. Ein Rhythmus nimmt Form an, Silben zusammengeballt, blockieren, verlaufen sich
30
Sie schrieb: ich habe keinen Mittelpunkt mehr. Und begriff, dass der Tod im Zentrum von allem steht. Der Tod, den sie fast zu leicht mit sich trug. Jeder Tod ist ein Mord
31
Sich entfernen bis zu dem Punkt an dem das Verschwinden seine Erfüllung findet
32
Die winzigen Explosionen deines Mundes. Vom Klang der Sprache getragen, die Abfolge entfernter Verbindungen. Die Operation der Poesie
33
So wie Ulrich in Musils Roman, der Mann ohne Eigenschaften gewesen ist, könnte Danielle Collobert in einer unendlichen Totalität der Möglichkeiten, die Frau ohne Eigenschaften gewesen sein
34
Da, wo etwas endgültig kippt, es zur Beschleunigung, Entfesselung kommt, den Sinn zermalmt (der letzte verbliebene?). Als habe man den Texten die Haut abgezogen. Und sieht, was man nicht sehen sollte. Unmöglich, diesen Zustand umzukehren
35
Über D.C. sprechen, indem man sie verschweigt. Fern jeder Darstellung. Die Begegnung des inneren Auges mit dem äusseren Auge
36
Trümmer zurücklassen, die Reste einer Seite, die unter der Hand weitergereicht zerfallen. Ein Zeitfenster, das sich schließt
37
Orte des Durchgangs gespenstischer Kulissen, zielloses Umherirren. Eine Unruhe, die nur insofern nützlich ist, als sie sich jedesmal von einer Stimme bestätigt findet. Eine Geduld, die sie offensichtlich viel kostet
38
Es gibt eine Suche nach der Balance zwischem dem Realen und dem Imaginären.
AIso die Erfassung des Unerträglichen im Zustand anhaltender Banalität
39
Körper zerrissen zerlegt zerteilt durchlöchert gebrochen einsam abgesondert.
Den Gesetzen der eigenen Schwerkraft folgend zieht es sie bis auf den Grund
40
Die Poesie ist unwiderlegbar
41
In Isolation wie hinter einer Türe zu leben, die sich nicht öffnet. Durch das winzige Fenster das gleissende Sonnenlicht über dem Boden verteilt endlos weit entfernt
42
Sie weigerte sich einer Institution, Gruppe oder Partei beizutreten. Lebte einfach im Widerstand. Und arbeitete einige Zeit für die FLN als Kofferträger (porteur de valises). Sie hat nie darüber gesprochen, alle unnötigen und emphatischen Äusserungen vermieden
43
Sie verschwindet in vollkommenem Schweigen
44
Die OAS verfolgt sie. Ruft bei ihr zuhause an. Sie flieht nach Italien (Rom, dann Venedig)
45
Du schreibst, du veröffentlichst, du schreibst weiter. Und was dann?
46
1962 lernt sie den Bildhauer Natalino Andolfatto in der Galerie Hautefeuille im Rahmen der Gruppenausstellung Art Construit kennen (sie bleiben die nächsten 15 Jahre lang zusammen). 1968 während des Prager Frühlings halten sie sich für vier Monate in der Tschechoslowakei auf
47
Man müßte jetzt von der Entkörperlichung der Wirklichkeit sprechen, von dieser Art von Bruch, der, möchte man meinen, alles darangesetzt hat, sich zwischen den Dingen und dem Gefühl, das sie in unserem Geist erzeugen — dem Platz, den sie einnehmen sollen —, selbst zu vervielfältigen. (Description d’un état physique; Antonin Artaud)
48
Eine Art Kontrollverlust, der dem Schreiben vorausgeht: und ohne den ein Fortschreiten/-schreiben, wie zersplittert auch immer, nicht möglich wäre
49
Sie findet Geschmack an der Verdoppelung. Die multiplen Blickwinkel
50
Sie empfiehlt ihren Freunden Artauds Héliogabale ou l’Anarchiste couronné. Ein Text, der sie sehr berührt
51
Es ist das Ende. Diesmal wirklich. Glaub mir
52
Vor einer unersättlichen Menge beginnen Feuer zu fressen
53
Eingerastet in ihrer einen Spur, der sie über Kontinente folgt. Als würde sie sich ihrer eigenen Erscheinung entziehen
54
Ohne mir Sorgen machen zu müssen, dass ich heute zu nichts anderem fähig bin
55
Eine Art Kartografie des Denkens. Was immer auch ein Ort des Suchens ist
56
Wie kannst du mir entkommen
57
Da ist ein Geräusch das ich mit meiner Seele mache
58
Sie kommen zurück, machen mehr als nur ein wenig Lärm. Sie schreien, hemmungslos, sehr pathetisch. Sie schauen mich an und begreifen nicht
59
Zu brennen ist eine schreckliche Sache. In Reichweite der anderen
60
Du finderst eine doppelte Welt unterschiedlicher Interpretationen vor. Die richtige Naht für dein Leiden
61
An die Oberfläche dringen. Geräuschlos dahingleiten. Ohne Spuren zu hinterlassen
62
Mit dem Gesicht das sie wegzuschneiden versuchte, hinter den Ohren, dem Haaransatz abzuziehen. Fluchtpunkte
63
Ich bin nicht besiegt.
64
Eine im Kern meines Selbst zunehmend rasende Geschwindigkeit, in einem Wirbel sich multiplizierende Bewegung, die sich selbst genügt. Der Versuch das Chaos aus zwei Richtungen zu betrachten
65
Eine imaginäre Sprache, die das extreme Gegenteil einer sprachlichen Verarmung darstellt
66
Der Funke wird an seiner Zerstörung gemessen
67
Die Flucht vor der Sprache in die Sprache
68
Es gibt das Schlimmste. Und den Rest
69
Du siehst dass ich nichts weiß
70
Dass die Welt aus Vernunftgründen nicht nur einen Mittelpunkt haben kann
71
Sagen wer man ist, wo man ist, um wirklich da zu sein. Ein Labyrinth, in das man Einlass zu erlangen sucht. Was kommt dann
72
Was wir wissen, wissen wir nicht nur aus dem was sie sagt oder nicht sagt, sondern aus dem Antrieb dessen, was sie dem gewöhnlichen Leben entzieht
73
Angst auströmend Lunge Atem keuchend (Survie). Ins Chaos geschleudert ohne Rüstung. Der Prometheus-Soundtrack. Die Atomisierung von Bedeutung/Sinn
74
Den Körper des Sprechens hier zum Stehen gebracht. Was zwanzig Jahre früher begonnen wurde. Der Haken zischt in der Luft
75
Danielle, Alix Cléo Roubaud und Agnès Rouzier zusammen auf einer Fotografie. Du starrst sie an, suchst nach einem Zeichen
76
Ihre Texte helfen nichts zu verstehen. Es ist nicht leicht, nichts zu verstehen
77
Es liegt nicht in der Absicht der wenigen Fotografien, die es von ihr gibt, etwas preiszugeben. Ich meine wirklich preiszugeben
78
Du hälst Ausschau nach einem Traum, dem Punkt an dem sie kurz aufblickt, der Teilung eines gemeinsamen Horizonts
79
Wie kannst du alles wissen, wenn du nicht alles sehen oder erkennen kannst
80
Der Körper der ein Gedanke ist den man berühren kann
81
Schreiben erscheint ihr nahezu unmöglich. Leben auch
82
Mit einer ihr ungewöhnlichen Dringlichkeit bittet sie Uccio Esposito-Torrigiani im Frühjahr 1978 Survie ins Italienische zu übertragen, noch bevor der Text im Französischen erscheinen kann
83
Letzte Gedanken laufen zusammen in einer Bewegung, die dein Gesicht trägt, das schwimmt. Kreise auf dem Wasser
84
Das Wasser löst die Angst nicht auf
85
Taucht ein in den blauen Kosmos. Die vertikale Reise (Survie)
86
Wenn das Bewußtsein den Körper durchströmt, ist es auch ein Körper, der aus ihm hervorgeht
Foto: Agnès Geoffray