PROTEST

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1.

aus dem Inneren des silbern glänzenden Berges zwischen Charleville und Aden hört man schwach das schleppende Geräusch von Dampfmaschinen

ein heiss-wässriger Dampf entfährt aus einer der Öffnungen des Tunnels der sich in kleinen flockigen Partien zu Wolken verdichtet

die in der gleissenden Sonne materialisieren und sogleich wieder sich auflösen

überall handelt man mit Bergkristallen oder seltsam anmutenden Stücken von Mineralien
die man unten in der Stadt für einen weitaus höheren Preis wieder verkauft

aber bei Schnee und zu Fuß den Pass zu überqueren ein solcher Vorsatz dass einem an Bart und Augenbrauen Eiskristalle richtige Zapfen anwachsen ist keine Kleinigkeit

die Schusswunde am Handgelenk glüht in der Eiseskälte

man bildet Gruppen die einzige Möglichkeit weiter zu kommen die richtungsgebende Wärme des Nebenmannes aufgreifend sich aufmunternd in fremden Sprachen haben alle das gleiche Ziel

unter der Kraft der Schritte neigt sich der Horizont

eine Wand aus frischgefallenem Schnee worin man bis zu den Schultern eintaucht

ein paar Jahre liegt der Aufstand zurück bei dem mehrere Arbeiter getötet wurden mehr als fünftausend die sich mit Schwarzpulver und Pickel durch den Berg frassen

jede Generation hat ihre Empfindlichkeiten

dieser monotone allgegenwärtige Schneefall den die Geräusche aus Schlucht und Tunnel wie in einem Fiebertraum vielfach trocken und dumpf durchdringen

 

 

2.

eine ganze Welt versunken in Schnee und Eis

unmöglich den Blick vor diesem Weiß dieser Leere zu heben vor der man gebannt erstarrt

und sich fragt wie es weitergehen soll

ein Pferd auf der Seite von den Strapazen der Arbeit dahingerafft (eines der vielen) das große Auge in Agonie den Blick in sich gekehrt

still nichts fordernd nichts fragend wissend

ein paar Jahre liegt der Aufstand zurück es gab nicht nur Erschiessungen im Luxembourg sondern überall wo man eine Mauer fand

Soyez réalistes, demandez l’impossible liest man an den Wänden

in der Herberge bekommt jeder der Reisenden Suppe Brot Käse ein Glas Schnaps
Strohbündel zum Niederfallen Schlaf im Nu

Hier sind wir!

seit einiger Zeit schon den Blick nur aus ungünstigen Positionen

eingeschwollener Hals Stimme und Schatten versagen
du bist ein Nichts unter deiner weissen Krone

die Ruhe am nächsten Morgen unter dem weissen Glitzern der Sonne werden die grossen Siege durch die ganz kleinen vorbereitet

 

 

 

3.

ein Automatismus der Wiederholung und des Rausches

tausende Quadratmeter weisser Planen sollen im Sommer das Abschmelzen der Gletscher verlangsamen während man den verbliebenen Schnee von unten nach oben schiebt

unmöglich den Blick vor diesem Weiß dieser Leere abzuwenden vor der man gebannt erstarrt

das Ende der weissen Flecken
anstelle der Forscher reisen nun die Touristen an

aber Freiheit ist kein Zustand sondern etwas das nur in Bewegung erreicht werden kann

wir bilden Gruppen fürchten sie doch unser Aufbegehren

Hier sind wir!

denn alle könnt ihr nicht einsperren

man sollte einen alten Vorschlag aufgreifen und an den Straßenlaternen Schalter anbringen um das Licht nach Belieben ein- und ausschalten zu können

junge Leute die keine anderen Politiker kennengelernt haben als jene die von Anbeginn die Macht verwalten

als Zeichen des Protestes werfen sie Gummienten und alte Turnschuhe über Stromkabel Ampeln und Strassenlaternen

es ist wahr je häufiger ich etwas verabscheue umso öfter versuche ich etwas dafür zu lieben

 

 

 

4.

fieberhaft greift man nach Umständen der Verweigerung
wo man doch das Falsche für das Echte ansieht

Aufbruch also voll Lärm und Gefühl
und den Pomp und die Schnee-Ewigkeit abstreifen

denn sie fürchten unsere Verachtung

und die Behauptung dass wir unter einer Herrschaft der Ungeheuer innerhalb eines repressiven und ideologischen Staatsapparates leben lässt sich nicht ohne weiteres widerlegen

eine komplette Generation ist angeschissen

es ist wahr je häufiger ich etwas verabscheue umso öfter versuche ich dafür etwas zu lieben

ich habe öfters an eine Stadt gedacht in der es Strassen gibt die vollkommen funktionslos sind
weiße Flecken inmitten einer Kartografie einer gentrifizierten Metropole

seit einiger Zeit schon den Blick nur aus ungünstigen Positionen

man sollte einen alten Vorschlag aufgreifen und die Museumsbestände auf Kneipen und Cafés verteilen

es sind die kleinen Dinge die die Maschinerie zum Stocken bringt zum Beispiel
den Idioten zu spielen

sie skandieren Putin ist ein Dieb

auch Verbitterung kann ein vergessener Schraubenschlüssel in einem Getriebe sein

 

 

 

5.

die Jugend hat es immer eilig

und ihre Proteste haben die Macht völlig unvorbereitet getroffen

ich weiß nicht was Dichtung anders sein könnte als die Revolte eines Einzelnen gegen die absurden Einlassungen und Gesetze des Establishments und der Widerstand gegen eine fatalistische Vorstellung von Ordnung

das Innere meines Wesens richtet sich gegen das Äussere

während mir genau dies eine Leben bleibt stelle ich fest dass ich selbst der Einsatz bin um den ich spiele

ihr Kretins lasst uns in Ruhe

die grossen Siege werden durch die ganz kleinen vorbereitet

Artaud (illuminiert) an Breton man kann einzig in der Sprache der Bomben Maschinengewehre Barrikaden mitsamt den Folgen die das mit sich bringt mit der Gesellschaft kommunizieren

als benötigte man vor ein paar Jahren noch viel weniger um an etwas zu glauben

einen Scheiss auf die Kunst so Artaud weiter wenn sie in schicken Galerien in Särgen Brutkästen und Vitrinen ausgestellt werden muss damit sie sich verkauft

als Zeichen des Protestes werfen die ersten Saboteure ihre Holzschuhe (sabots) in die Maschinen

man sollte einen Vorschlag aufgreifen und die Museumsbestände auf Kneipen und Cafés verteilen

 

 

 

6.

die Kunst ist ihrem Sinn nach anarchistisch

ganz offensichtlich ist die Denunziation in die Gesellschaft zurückgekehrt mit der gleichen klandestinen Freude am Voyeurismus der eine Nekrophilie ist

es zählt nicht wer man ist sondern zu wem oder was man gemacht wird das was die Öffentlichkeit glauben soll

wir sind demnach in die Epoche wahnsinniger Unterstellungen und Verleumdungen eingetreten

aber der Dichter richtet sich ein im Dissens

ich habe öfters an eine Stadt voller Flaneure gedacht in der nichts Erstarrtes Feststehendes Monumentales existiert in der jeder in Beziehung zum anderen steht weil jegliche Identität fehlt

sich der herrschenden Ordnung entziehen, der Preisgabe des eigenen Selbst

und wie immer
einen Scheiss auf die Werte

der Ausdruck des Selbst wird zum Fluchtpunkt innerhalb eines panoptischen Gesellschaftsgefüges in der jede Bewegung zur verpixelten Wirklichkeit gerät

nur zu gerne würde ich jene schreien hören die nicht gewohnt sind zu Wort zu kommen weil das Endlosschleifengeschwätz plump die Brüche im System versucht zu überspielen

das Innere meines Wesens richtet sich gegen das Äussere

wir leben in Zeiten der Kakistokratie lavieren uns zwischen vollgepackten dichten Träumen einer beunruhigenden Materie

 

 

 

7.

nichts fehlt in dieser Öde (kein Körnchen Hass zuviel)
die Furcht dass das nicht ausreicht niemals reichen kann

die Furcht des Körpers der Stimme
die Furcht jedes einzelnen Körperteils des Hinterns vor dem Verweilen der Lahmarschigkeit

das fehlende Feuer das du selbst entfachen musst vom Arsch zur Kehle dein Schrei

schon seit einiger Zeit den Blick nur aus ungünstigen Positionen

aber der Dichter richtet sich ein im Dissens

und ein Mensch der schreit ist keine Lappalie

in einer Gesellschaft die seit Jahrzehnten ihre Agonie hinauszögert oder längst den Zenit des real Erträglichen überschritten hat

fällt ein Schrei mehr oder weniger nicht ins Gewicht

Hier du Scheissanfang-vom-Ende-der-Welt! Hier sind wir! Und jetzt! Was willst du? Deine billige Wiederkehr des ewig Gleichen? Gähn! Schmähungen des Tages? Lobpreisungen der Nacht? Die falsche Rechtschaffenheit der Vormittage? Die Prunksucht eurer Abende?

also bricht man auf um die Welt zu bewohnen in der die zersplitterten Teile merkwürdigerweise immer noch ein Ganzes ergeben

ein Prozess in Bewegung mit dem man nur Schritt halten kann indem man in sich geht

jeden Augenblick kommen und gehen die Dinge an dir vorüber überall und zur gleichen Zeit
es macht keinen Unterschied wo du dich befindest

 

 

 

8.

unsere Krankheiten sind meistens politische Krankheiten

ein Glutofen und die Mücken eine wahre Plage wo ein Jahr soviel zählt wie anderswo fünf ist der beste Schlafplatz am Rand des Meeres in der Wüste

faszinierend dem Fluss der Gedanken zu folgen im Zustand der Erregung

die Spucke der Mutter im gestriegelten Haar von Wüsten und Ozeanen nicht auszuwaschen

ausgehend von der Notwendigkeit einer neuen Rhetorik

der König ist nach Entotto zurückgekehrt mit Atos Petros als Zeremonienmeister Antonelli liegt mit Syphilis in Lit-Marefia nieder Antoine Brémond gibt seinen Neugeborenen Milch in Alin Amba Bidault fotografiert in den Bergen Harar’s Stéphane liegt ausgestreckt in der Gosse vor unserer Tür

gibt es noch jemanden der sich so langweilt das Leben so unsagbar satt hat

selbst nachdem man ihm ein Bein abgenommen hat ist er für die Behörden ein insoumis

die Desinfektions- und Isolierungsapparate eines restriktiven Gesellschaftskörpers

man erkennt eine grosse Müdigkeit und den Willen nicht aufzugeben wenn auch nicht ganz klar ist für wen oder für was

Freiheit ist kein Zustand und kann demnach nur in Bewegung erreicht werden

wenn die Geschäfte augenblicklich nicht zum Besten bestellt sind darf man aber nicht in Hektik verfallen
die Kapitalakkumulation liegt in der Logik von Konkurrenz und Klassenkampf

 

 

 

9.

ohne im geringsten Wert zu legen auf das was man Leben nennt

sprechen wir von den Zyklen der Ausbeutungs- und Akkumulationshistorie des Kapitalismus

denn in einer genealogischen Gegenwart sind wir nichts als Kontingenz Ephemeres auf der Suche nach den immer wieder neu ansetzenden Taktiken des Kampfes

darum auch die rasende Ungeduld jene Linearität des Scheiterns aufzubrechen der immer wieder aufs neue zerstörten Hoffnungen

wir wollen nicht regiert werden das kann doch nicht so schwer nachzuvollziehen sein niemand hat für uns zu sprechen den wir nicht dazu ermächtigen

diese Seite ist nicht sicher

ausgehend von der Notwendigkeit einer neuen Rhetorik und der sozialen Teilhabe des Fussvolks
geknüpft an Ereignisketten multipler Dauer

liesse sich mit dem Handel von Häuten Kaffee Weihrauch Moschus einiges verdienen frisst der Transport bis zum Hafen vieles davon auch wieder auf

man rechnet damit sich 3/4 seines Lebens zu plagen um im letzten Viertel endlich seine Ruhe zu finden aber wer erreicht die letzte Etappe so dass Genuss sich daraus ziehen liesse

durch Arbeit und dem Verrat der Kopfhaut wird das Haar weisser und weisser dass er befürchtet auszusehen als trage er eine gepuderte Perücke

am Anfang war die Beleidigung

die Erziehung des Herzens ist eine Zeitverschwendung

 

 

 

10.

die Geschichten der Flüchtlinge übersetzen

du kannst keine Welt ohne sie aufbauen

in der Welt dieses schmierig schmierenden Patriarchen-Volkes

am Anfang war die Beleidigung

eine Wollust den ersten Stein zielsicher zu platzieren

ein winziger Schnitt in den Finger kann hier bei diesem Klima in dem alles 10 mal länger heilt schlimme Folgen haben bis hin zum Wundbrand

es gibt nur dies eine Leben weil man sich ein abscheulicheres nicht vorzustellen vermag

in der Hoffnung dass dies Leben zuende geht dass nicht ausreichend Zeit übrig bleibt vollkommen den Verstand zu verlieren

die Schuldigen aber sind sehr schnell ausfindig gemacht in einem System in dem die Psychologie der Vorverurteilung greift warum auch die Gesellschaft mit unnötigen Details langweilen

Strafverfahren Verhaftungsandrohungen psychiatrische Untersuchungen Gefängnis Geldstrafen

man tut gut daran jene auf Abstand zu halten die gewöhnlich keine Gelegenheit versäumen dich mit ihren Zudringlichkeiten zu bedrängen

diese Seite existiert nicht mehr

 

 

 

11.

der technokratische Apparat übt sich im Einfädeln einer (durchsichtigen) Intrige einer Verleumdung oder Denunziation der Druck auf das Individuum muss so gross sein dass es von selbst aufhört still wird schliesslich soll alles ohne Lärm über die Bühne gehen

der Alptraum einer Kleptokratie nicht in Ruhe ihre Reichtümer anhäufen zu können

ich war es leid dass sie sagen konnten was sie wollten und sie konnten natürlich nicht genug kriegen von ihren Lügen sie logen einfach drauf los wie es ihnen in den Kram passte das war ihre Art

ihre Strategie dass es sich machtpolitisch auszahlte oder finanziell und als sie nach dem Auftritt in der Kirche vor den geil gierigen Augen der Popen des Patriarchen schliesslich ihnen den Mund verboten

und sie in eins der unzähligen Lager schickten wo man verrecken konnte was selbstverständlich beabsichtigt war

aber sie nannten es einfach Umerziehung zum Wohl der Gesellschaft nähte ich mir zum Zeichen meiner Solidarität den Mund zu zum Zeichen dass sie damit auf keinen Fall durchkommen würden dass wir auf jeden Fall aufstehen und laut unsere Meinung hinausschreien

uns eben mit Nadel und Faden das Maul zunähen würden auch die Wirtschaftspartner im Westen die immer noch der Profite wegen unser Land als eine lupenreine Demokratie bezeichnen die Schwachköpfe

unser Staunen über die politischen Zustände ist längst kein philosophisches mehr

und als ich merkte dass ich hätte aufstehen sollen blieb ich sitzen

zischte Verwünschungen über den gedeckten Tisch und spuckte auf die Etikette der Gastgeberin die gerade eine neue Fleischplatte servierte

und das Staunen ist übergegangen in die Idiosynkrasien des Schwarzen Blocks unempfänglich für den Atem der Geschichte

die grossen Siege werden durch die ganz kleinen vorbereitet

 

 

 

12.

aus den Erschütterungen des Geistes (uns kurzatmigen Idioten) müssen Umwälzungen der gesellschaftlichen Ordnung erwachsen

dürfen wir deinen aktuellen Standort verwenden

deiner Abweichung einen Namen geben zu können das scheint ihnen sehr wichtig zu sein die Verhältnisse zu klassifizieren

es ist ihre Angst davor die Kontrolle verlieren zu können dass die Dinge in eine Richtung laufen die sie nicht bedacht haben und vor der sie sich auf kurz oder lang fürchten müssten die Paranoia der Macht vom Thron gestossen zu werden

im hintersten Zipfel ihres Reiches die Maus die unter dem Sofa piepst so wie die Fernfahrer gegen eine Maut streiken deren Einnahme sich irgendwelche Oligarchen in die Tasche stecken

oder den Leuten einen kleinen Park vor ihren Wohnsilos zu nehmen in dem sie sich nach einer Arbeit die ihnen kaum etwas einbringt trösten und dem radikalen Popenvolk einen Tempel hinzustellen

aber mehr als 100.000 gingen auf die Strassen und skandierten Putin ist ein Dieb

und nachdem die Polizei massiv einschritt obwohl viele der Demonstranten noch Kinder waren riefen sie alle könnt ihr nicht einsperren

und verbreiteten über ihre Handys die Feigheit der Macht und als Zeichen des Protests warfen sie Gummienten und alte Turnschuhe über Stromkabel Ampeln und Strassenlaternen

was verschwiegen wird muss zur Sprache kommen

im Dunkeln sind die Brände viel schwieriger zu löschen

und wenn nötig ohne einen Verleger oder ein Blatt Papier auskommen
alles muss neu erlernt werden

 

 

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